Felix Räuber, geboren 1984 in Dresden, ist Künstler, Musiker und Frontman der Band „Polarkreis 18“. Heute lebt er in Berlin und Dresden. Vor zwei Jahren präsentierte er sein neues Projekt „Wie klingt Heimat?“, für das er mit Mikrofon quer durch Sachsen gereist ist. Wir haben mit ihm über Heimat, den „Osten“ und seine Erfahrungen damit gesprochen.
Erik Peuker führte das Interview.
Was bedeutet der Osten für dich persönlich?
Das Allererste, woran ich denke, sind meine ersten vagabundenartigen Auslandsreisen, als ich mit einem Freund und dem Bulli losgefahren bin. Alle paar Jahre sind wir für ein paar Wochen durch Osteuropa gereist. Das ist das Erste, was ich damit assoziiere, denn die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, zählt man zwar als Osten Deutschlands. Ich habe es, als ich jung war, aber nie als „den Osten“ wahrgenommen, das war für mich die Mitte der Welt.
Du warst fünf, als die Mauer gefallen ist. Hat dein Begriff von „Osten“ gar keinen Bezug zur früheren DDR mehr?
Wenn man über Sozialisierung nachdenkt und die Prägung der eigenen Geschichte, kommt man an der DDR-Geschichte nicht vorbei, und die ist natürlich heute auch mit dem Begriff des Ostens irgendwie verbunden. Ich persönlich hab keine richtig gelebten Erinnerungen mehr an diese Zeit, aber generationsübergreifend ist man irgendwie davon geprägt. Ich merke schon einen Einfluss, was das Werteverständnis und den Umgang mit der Wende angeht – das ist in der Persönlichkeit meiner Familie irgendwie verankert.

Wie ist es, als ostdeutscher Künstler mit Band bekannt zu werden?
Als wir vor 20 Jahren angefangen haben, die ersten Zeitungsartikel mit meiner Band zu bekommen, dann war das immer ein riesiges Thema, dass wir aus Ostdeutschland, aus Dresden kamen. Das konnten die Leute nicht so richtig einordnen. „Ihr kommt aus Dresden, okay, das ist krass, und dann klingt das noch so frisch, irgendwie passt das nicht.“ [lacht]. Aber das hat uns eigentlich in die Karten gespielt, weil wir dadurch auch was Besonderes waren.
Du gehst künstlerisch auch mit dem Heimatbegriff um, unter anderem in deinem aktuellen Projekt „Wie klingt Heimat?“ zusammen mit Marc-Oliver Rühle. Welche Rolle spielt „der Osten“ dabei? Schließlich geht’s ja um Sachsen.
Wir haben uns im ersten Teil unserer Reise von „Wie klingt Heimat?“ nur meinem Heimatland Sachsen zugewendet, aber wir wollen das jetzt zu „Wie klingt der Osten?“ ausdehnen, um eine identitäre Auseinandersetzung mit dem Begriff des Ostens anzuschließen. Dafür wollen wir alle fünf Bundesländer bereisen. Es geht darum, die jüngere Popmusik-Kultur des Ostens Deutschlands aufzugreifen und zu gucken: Was gabs da eigentlich? Das bringen wir in Verbindung mit heutiger Musik von Künstlern, die aus der Region kommen bzw. da immer noch leben, wie z.B. Marteria, Silbermond oder Clueso oder auch meine Band, Polarkreis 18. Wir versuchen, einen Bogen zu spannen zwischen beiden Welten, damals und heute.
Wie wird dein Projekt im deutschen Osten aufgenommen von den Menschen? Sehen die Menschen sich wieder?
Wenn man eine Tour spielt, dann spielt man ja nicht nur im Osten Deutschlands. Man merkt schon: Je nachdem, wo man ist, nimmt es jeder ein bisschen anders auf. Im Osten ist es manchmal gefühlt nicht ganz so leicht, eine warme, offene Atmosphäre während des Konzerts zu erzeugen. Und wenn ich viel auf Englisch singe, merke ich, dass ich die Leute eher verliere, als dass ich sie kriege – das ist ihnen nicht so nah.
Wie gehst du als Künstler mit Ost-West-Unterschieden und politischen Themen um?
Gerade in der heutigen Zeit werden die Begriffe des Ostens und der Heimat wieder sehr stark politisiert. Ich habe als Künstler und Musiker den Vorteil, dass ich immer über die Kunst an die Menschen herantrete. Begegnungen über das Wort „Heimat“ oder mit einer Bezogenheit auf Ostdeutschland wurden bisher eigentlich nicht politisch.
Da bin ich super happy drüber, aber im Politischen zeigen sich natürlich deutlich die Unterschiede – das haben wir jetzt bei der Europawahl richtig gesehen auf dieser schwarz-blauen Karte. Daher interessiert mich natürlich: Warum ist das so? Warum scheint es da immer noch so einen Unterschied zu geben, obwohl die Mauer ja seit 30 Jahren nicht mehr steht? Der Unterschied fußt wohl darauf, dass man in unterschiedlichen Ländern und Gesellschaftssystemen gelebt hat – und auf der Wende-Erfahrung.
Denkst du, das wird mal aufhören mit dieser Ost-West-Einteilung?
Ich glaube, das hängt davon ab, inwiefern man fähig ist, sich selbst Fehler einzugestehen und die eigene Geschichte zu reflektieren. Wenn das passiert, was nicht leicht ist, dann, denke ich, wird das nicht mehr so ein wahnsinniges Thema sein in ein paar Jahrzehnten. Aber wenn das nicht passiert, dann wird das wohl noch eine ganze Weile lang in den Köpfen der Menschen sein.
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Von der Jugendweihe in Köln bis zur Aktivistin in der sächsischen Provinz, für die Ostproben Aufnehmen haben die Studierenden des Masterstudiengang Multimedia und Autorschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit 18 Menschen gesprochen. Sie wollten herausfinden, wie die Menschen sich und die Zuschreibungen an den Osten sehen. Dabei werden Stereotype bestätigt und hinterfragt, Realitäten eingefangen, Vergangenes und Utopien angesprochen.
Über OSTPROBEN
Ist Osten nur eine Himmelsrichtung oder eine Frage von politisch-gesellschaftlichen Realitäten? Mit dieser Frage hat sich der aktuelle Jahrgang des Masters Multimedia und Autorschaft (MMA) im Sommer 2024 unter der Leitung von Maren Schuster und Christian Stewen journalistisch auseinandergesetzt.
Ankerpunkt war das Festival OSTEN (1. Bis 16. Juni 2024) in Bitterfeld-Wolfen. Die Studierenden sind für die Festivalbeiträge gemeinsam mit den beiden Wissenschaftler*innen den Fragen nach Zuschreibungen an den Osten nachgegangen und haben dafür im Sommer 2024 in Bitterfeld, Wolfen, auf dem Festival und anderswo ‚Ostproben‘ gesammelt.
Ein Projekt mit
Erik Peuker
Master Multimedia und Autorschaft
In Kooperation mit
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg