Emil B. (*Namen geändert) ist in einem kleinen Ort in der Nähe von Halle (Saale) aufgewachsen. Eigentlich hatte er einen guten Bezug zu seinem Heimatort – bis er in der Schulzeit immer mehr mit rechtem Gedankengut und Ausgrenzung konfrontiert wurde. Heute ist Emil 24 Jahre alt und lebt seit drei Jahren in Halle. Der Bezug zum ländlichen Raum ist ihm aufgrund seines Elternhauses und seiner Arbeit als Erzieher aber trotzdem geblieben. Wie er auf die damalige Zeit blickt und was ihn trotz der negativen Erfahrungen motiviert, in der Region zu bleiben, erzählt er im Interview.
Nele Störmer führte das Interview.
Wann bist du in deiner Schulzeit mit rechtem oder rechtsextremem Gedankengut in Berührung gekommen und wie hat sich das geäußert?
Das allererste Mal müsste so dritte Klasse gewesen sein, als ein Klassenkamerad sein Hausaufgabenheft mit Hakenkreuzen vollgemalt hat. Generell war Ausländerfeindlichkeit immer ein Thema. So richtig
präsent wurde das so ab der siebten Klasse, als dann auch das Thema, wie man sich politisch positioniert, zustande kam und offen die Frage gestellt wurde: „Bist du rechts?“ Und auch das Hinterfragen, warum man das nicht ist. Vor allem auf der Sekundarschule später war das sehr doll.
Wie würdest du deine Schulzeit generell beschreiben?
Kompliziert, sehr unangenehm und einfach schwierig. Weil ich eigentlich immer eine Außenseiterposition hatte und da auch nie so richtig rausgekommen bin, weil ich mich sehr von meinen Mitmenschen in der Zeit unterschieden habe.
Inwiefern hast du dich unterschieden?
Weil ich ziemlich offensichtlich nicht dieser Meinung war und auch aufgrund der Äußerlichkeiten. Also ich war eigentlich immer der einzige Junge in der Klasse, der lange Haare und viel Second Hand hatte und so ein Kram. Und das hat man sich dann rausgepickt.
Du hast gesagt, diese rechte politische Positionierung hat sich so geäußert, dass man nach seiner Haltung gefragt wurde. Worin hat sich das noch widergespiegelt?
Die meisten Ausgrenzungen haben sich durch Beschimpfungen oder sowas bemerkbar gemacht, gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund vor allem. Also ein ganz stupides Zeug, so ein extremes Reduzieren auf bestimmte Merkmale.
Gab es denn in deiner Schulzeit Menschen, die etwas dagegen unternommen haben?
Es gab eigentlich niemanden, der etwas großartig dagegen unternommen hat. Es gab ein paar Lehrer, die mal was gesagt haben und da auch Konsequenzen angedroht haben. Ich weiß gerade nicht, ob es wirklich jemals zu irgendwas kam. Ich glaube nicht. Hätte es da Anzeigen gegeben, wäre das ein größeres Thema geworden.
Würdest du diese rechte Einstellung als politischen Mainstream beschreiben in deiner Schule?
Ich glaube einfach, dass viele von den Menschen sehr von ihrem Wohnort und dem daraus resultierenden Umfeld plus Familie geprägt wurden. Es gab sicherlich Leute, die sich dem angeschlossen haben, weil sie Gruppenzugehörigkeit gesucht haben, aber so großteils weiß ich nicht, ob es ein Mainstream war.
Hast du auch etwas von rechten Strukturen außerhalb der Schule mitbekommen?
Damals ging es halt viel über Gemeinschaften im Dorf und über Gruppen. Es gab so Mopedgruppen, die sich regelmäßig getroffen haben, wo aber auch andere Menschen dabei waren, die nicht mit diesem Gedankengut unterwegs waren. Und ansonsten weiß ich von einigen, dass die regelmäßig die Montagsdemos von Sven Liebig besucht haben mit ihren Eltern.
Und wie bist du aufgewachsen in politischer Hinsicht?
Ich wurde schon sehr klar auf Offenheit erzogen. Es war meinen Eltern immer wichtig, dass ich nicht in solche Muster verfalle und nicht so ein Gedankengut aufnehme und das vertrete. Da wurde ich eigentlich immer relativ gut und direkt aufgeklärt.
Inwiefern hat dich das Aufwachsen mit rechten Strukturen in deinem Werdegang, auch beruflich, geprägt?
Ich glaube, dass es dafür gesorgt hat, dass ich solche Meinungen bis heute absolut nicht vertreten kann. Ich verspüre eine tiefe Abneigung gegen so ein Gedankengut und gegen Menschen, die das vertreten.
Für mich ist es gut zu wissen, dass ich eben auch dadurch, dass ich in einem Kindergarten arbeite, der auf dem Dorf ist, Einfluss nehmen kann und eine Haltung vorleben kann: Offenheit, Toleranz und auch
Vielfalt. Das finde ich sehr beflügelnd und auch wichtig.
Was hält dich trotz deiner negativen Erfahrungen in der Region?
Die Region ist mir einfach sehr vertraut. Sie ist Teil meiner Identität. Ich wohne hier mein ganzes Leben schon und irgendwie fühlt sich das für mich wichtig an, hier zu sein. Gerade weil es hier ein Kontrast ist. Weil auch einfach viel passiert und es immer Gelegenheiten geben wird, einen Standpunkt zu zeigen, auf welche Art und Weise auch immer. Ob es nun die Arbeit am Kind ist oder dann mal wieder auf Demonstrationen mitgehen, wenn der Anlass gerade spannend und wichtig ist. Und generell finde ich es einfach auch im kulturellen Sinne sehr schön hier, weil es viele Orte gibt, die eben genau die Sachen priorisieren, die ich für mich als sehr wichtig empfinde, Offenheit, Toleranz und auch einen mitfühlenden Umgang miteinander zu haben. Und deswegen fühle ich mich hier in vielerlei Hinsicht sehr geborgen und heimisch.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Von der Jugendweihe in Köln bis zur Aktivistin in der sächsischen Provinz, für die Ostproben Aufnehmen haben die Studierenden des Masterstudiengang Multimedia und Autorschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit 18 Menschen gesprochen. Sie wollten herausfinden, wie die Menschen sich und die Zuschreibungen an den Osten sehen. Dabei werden Stereotype bestätigt und hinterfragt, Realitäten eingefangen, Vergangenes und Utopien angesprochen.
Über OSTPROBEN
Ist Osten nur eine Himmelsrichtung oder eine Frage von politisch-gesellschaftlichen Realitäten? Mit dieser Frage hat sich der aktuelle Jahrgang des Masters Multimedia und Autorschaft (MMA) im Sommer 2024 unter der Leitung von Maren Schuster und Christian Stewen journalistisch auseinandergesetzt.
Ankerpunkt war das Festival OSTEN (1. Bis 16. Juni 2024) in Bitterfeld-Wolfen. Die Studierenden sind für die Festivalbeiträge gemeinsam mit den beiden Wissenschaftler*innen den Fragen nach Zuschreibungen an den Osten nachgegangen und haben dafür im Sommer 2024 in Bitterfeld, Wolfen, auf dem Festival und anderswo ‚Ostproben‘ gesammelt.
Ein Projekt mit
Nele Störmer
Master Multimedia und Autorschaft
In Kooperation mit
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg