Sprengung der DDR-Identität

Konrad Schürmann (*Name geändert) war von den 1960er Jahren bis Anfang der 2000er  als Dipl. Ingenieur für Bergbau und Geotechnik und als Sprengmeister für ein namhaftes  Unternehmen in der Bergbaubranche tätig. Nach der Wende sprengte er viele Gebäude  aus der ehemaligen DDR. Im Gespräch zum Thema „Ostproben“ blickt er zurück auf sein  Berufsleben zu DDR-Zeiten und nach dem Mauerfall.

Babett Gumbrecht führte das Interview.



Starten wir mit einer Schnell-Frage-Runde. Nennen Sie drei Dinge, die Ihnen  einfallen, wenn Sie an die DDR denken. 

Sozialstaat, Gemeinschaft und kulturelle Vielfalt. 

Steigen wir in das Thema ein, wie kamen Sie zum Bergbau?  

Das ist eine schwierige Frage. Mein erstes Mineral habe ich in meiner Heimatstadt  gefunden. Das war ein kleiner Bergkristall. Wir hatten in der Schule einen Lehrer, der mein  Interesse erkannt hat und mich in ein Heimatmuseum mitgenommen hat. Es hat mich  schon als kleiner Junge interessiert und fasziniert, woher die Steine kommen und wie alt  sie sind. Hinzu kam, dass ein Buch aus Russland erschienen war „Verständliche  Mineralogie“ vom Autor namens Fersmann. In dem Werk wurde super beschrieben, wo  sich diverse Fundstellen von Mineralien auf der gesamten Welt befinden. Als es dann  darum ging, eine Lehrstelle zu finden, bot sich ein Kombinat in der Umgebung an,  welches dringend Leute suchte, an.  

Können Sie für den Laien erklären, welche Art von Projekten ein Dipl. Ingenieur für  Bergbau und Geotechnik umsetzt?  

Zu DDR-Zeiten lag der Fokus vor allem auf der Erkundung von staatlichen Lagerstätten.  Damals gab es die staatliche Rohstoffkommission, denn es herrschte chronischer  Rohstoffmangel in der DDR und man war immer auf der Suche nach neuen Lagerstätten,  die man ausbeuten konnte. Außer geologischen Erkundungen waren auch der Umbau  von alten Schächten oder Themen wie Wasserkraft große Projekte. Allein der Bau eines  Pumpspeicherwerks im Erzgebirge hat mich zehn Jahre beruflich in Anspruch  genommen.  

Ihre Tätigkeit hat Ihnen auch ermöglicht, schon zu DDR-Zeiten viel zu reisen. In  welchen Ländern hatten Sie Projekte?  

Wir waren im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe in der DDR. Teil davon waren unter  anderem die Länder Polen, Tschechien, Russland, Rumänien, aber auch der Kosovo. Mit  all diesen Ländern haben wir einen Erfahrungsaustausch durchgeführt. Ich war zum  Beispiel für den Bau eines Kraftwerks in Tadschikistan, aber auch mehrmals in Russland,  im Kosovo und auch in der ehemaligen CSR.

Viele ehemalige DDR-Bürger sprechen von Freiheitsentzug. Vom Gefühl, eingesperrt  gewesen zu sein. Hatten Sie dieses Gefühl auch? 

Nein, hatte ich nicht. Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, das wurde mal von  einem großen Mann gesagt. Und das ist überall so, man kann sich nicht jeden Wunsch  erfüllen. 

Zusätzlich zu Ihrer Ausbildung als Dipl. für Bergbau-Ingenieurs haben Sie noch die  Qualifikation des Sprengmeisters erworben. Haben Sie nach der Wende auch  Objekte aus DDR-Zeiten zerstört? 

Ja, fast alle Objekte, die ich in den 10 Jahren nach dem Mauerfall gesprengt habe, waren  Objekte aus DDR-Zeiten. Ab 1992 wurde mein Betrieb übernommen. Damit kam eine  große Umstellung, denn wir mussten dann auch Arbeiten annehmen, die eigentlich nicht  unserem Profil entsprachen, weil wir auf dem freien Markt in der westlichen Hemisphäre  nicht mehr mithalten konnten. Wir mussten das machen, was gerade notwendig war. Und  nach dem Mauerfall bestand eben vor allem die Notwendigkeit, viele Objekte, die nicht  mehr benötigt wurden, abzureisen und zu planieren. Zum Beispiel alte Schornsteine oder  Fabriken.  

Wie hat sich das angefühlt? 

Es hat sich so angefühlt, als würde man seine eigene Identität sprengen. Innerlich gab es  da einen großen Widerstand in mir.  

Sie sind jetzt schon über 20 Jahre in Rente. Inwiefern engagieren sie sich noch im  Bergbau? 

Nach meinem Renteneintritt habe ich noch über sechs Jahre das Archiv betreut. Da bin  ich auch immer noch dran. Mich erreichen viele E-Mails mit Anfragen zu ehemaligen DDR Objekten. Außerdem bin ich in einem Bergmannsverein im Vorstand tätig. Wir pflegen  Bräuche wie das Feiern der Mettenschicht oder des Sankt Barbaratags der Schutzpatron  der Bergleute. 

Zum Abschluss: Sie sind in den 1930er Jahren geboren. Haben demnach den 2.  Weltkrieg, den Mauerbau, die DDR, den Mauerfall und nun auch den Ausbruch des  Ukraine-Kriegs erlebt. Wie schauen sie auf die Ereignisse in der Welt ohne Mauer? 

Tja, das Problem ist, dass jeder glaubt, dass das, was er tut, das Richtige ist. Durch die  Ungewissheit, die überall da ist, fühlt man sich oft bedrückt. So nehmen wir das wahr,  auch wenn es vielleicht gar nicht so ist. Ich denke natürlich oft an die Erlebnisse aus  Kindheitstagen zurück, wie das war, als die Nazis uns in einen Bunker sperrten und dann  erst die Amerikaner kamen, um uns zu befreien und später die Russen. Geändert hat sich  seitdem wenig. Auch bei dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland spielen  Bodenschätze und Ressourcen sicher eine bedeutende Rolle. Meine große  Mineralsammlung umfasst auch viele Fundstücke aus Russland oder der Ukraine. Die  Ukraine ist zum Beispiel reich an Lithium, Kobalt und Titan. Und das sind seltene Erden.

Von der Jugendweihe in Köln bis zur Aktivistin in der sächsischen Provinz, für die Ostproben Aufnehmen haben die Studierenden des Masterstudiengang Multimedia und Autorschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit 18 Menschen gesprochen. Sie wollten herausfinden, wie die Menschen sich und die Zuschreibungen an den Osten sehen. Dabei werden Stereotype bestätigt und hinterfragt, Realitäten eingefangen, Vergangenes und Utopien angesprochen. 

Über OSTPROBEN

Ist Osten nur eine Himmelsrichtung oder eine Frage von politisch-gesellschaftlichen Realitäten? Mit dieser Frage hat sich der aktuelle Jahrgang des Masters Multimedia und Autorschaft (MMA) im Sommer 2024 unter der Leitung von Maren Schuster und Christian Stewen journalistisch auseinandergesetzt.

Ankerpunkt war das Festival OSTEN (1. Bis 16. Juni 2024) in Bitterfeld-Wolfen. Die Studierenden sind für die Festivalbeiträge gemeinsam mit den beiden Wissenschaftler*innen den Fragen nach Zuschreibungen an den Osten nachgegangen und haben dafür im Sommer 2024 in Bitterfeld, Wolfen, auf dem Festival und anderswo ‚Ostproben‘ gesammelt.

Ein Projekt mit

Babett Gumbrecht
Master Multimedia und Autorschaft

In Kooperation mit

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weitere Themen

  • Projekt: Wahrnehmen
  • Projekt: Filmfabrik
  • Projekt: Arbeiterinnen